YB8 1. Alpentour 2023

Mit meiner „Reise-Bimota“ 1.600 Kilometer fast pannenfrei durch die Westalpen

Nach einer umfassenden technischen Überholung und verschiedenen Umbauten (–> siehe hier) kommt meine YB8 E nach dreizehn Jahren Standzeit als Reisemotorrad wieder auf die Straße. Mitte Juni 2023 geht es in Richtung französische Alpen. Sicherheitshalber verlade ich auch die tourenerprobte DB3. Man weiß ja nie, welche unerwarteten Problemen nach so langer Standzeit auftreten können. Schließlich wäre es einfach nur ärgerlich zwei Tage für die An- und Abreise zu investierten und dann nicht oder nur begrenzt fahren zu können, obwohl es eine zuverlässige Alternative gegeben hätte.

Die Tour beginnt mit rund 800 Autobahnkilometern bis in die Nähe von Besançon, wo ich Auto, Anhänger und Ersatzmotorrad bei einem Freund abstelle. Mit leichtem Gepäck – einer wasserdichten Gepäcktasche auf dem Rahmenheck und Werkzeug, Kettenfett, Regenkombi und weiteren Utensilien im „Kofferraum“ – ist auf und in der YB8 alles verstaut, was für eine fünftägige Tour nötig ist.

Die ersten Kilometer bis Champagnole verlaufen auf kleineren, aber gut ausgebauten Straßen durch abwechslungsreiche Landschaften. Von dort führt die N5 hinauf zum Kamm des Juragebirges entlang der französisch-schweizerischen Grenze. Die Kammstraße D1005 bietet zahlreiche Kurven und Aussichtspunkte mit Blick auf den Genfer See. Das erste richtige Passfeeling stellt sich dann bei der Abfahrt über Gex in Richtung Genf ein.

Aussichtspunkt Belvédère du Pailly im Jura mit Blick auf den Genfer See und das Mont Blanc Massiv

Das nächste Etappenziel ist Annecy am Nordufer des gleichnamigen Sees. Von dort nehme ich die D41 hinauf ins Massif des Bauges bis zum kleinen Ort La Motte-en-Bauges. Die Bauges sind ein Gebirgsmassiv, das mit über 2.000 Metern Höhe zu ausgedehnten Fahrten einlädt. Ich fahre jedoch über die kleine, kurvenreiche D10 zurück zum Lac d’Annecy und weiter nach Albertville, meinem Tagesziel. Im Zentrum der Olympiastadt von 1992 habe ich für zwei Nächte ein Apartment gebucht, um von hier aus die Touren der nächsten beiden Tage zu unternehmen.

Blick vom Massif de Burges

Am zweiten Tag steht die erste richtige Alpentour auf dem Programm. Von Albertville geht es in nordwestlicher Richtung, oft mit Blick auf das schneebedeckte Mont-Blanc-Massiv, bis nach Chamonix. Anschließend überquere ich den ersten kleineren Pass, den 1.461 Meter hohen Col des Montets, in Richtung Schweizer Grenze, und fahre weiter über den Col de la Forclaz (1.527 m) bis nach Martigny. Martigny ist der Ausgangspunkt für die Fahrt über den Großen St. Bernhard Pass (2.473 m) nach Italien ins Aostatal. Da der Durchgangsverkehr durch den 6 Kilometer langen Tunnel führt, ist die alte, wenig befahrene Passstraße eine Genussstrecke durch eine atemberaubende Landschaft.

Nordrampe des Großen St. Bernhard Passes
Mitte Juni auf dem Großen St. Bernhard Pass

Nach einem gemütlichen Mittagessen in Aosta führt die weitere Route Richtung Westen nach Pré-Saint-Didier. Von dort geht es hinauf zum 2.188 Meter hohen Kleinen St. Bernhard Pass, der die Grenze nach Frankreich markiert. Eine traumhafte Serpentinenstrecke leitet hinunter nach Bourg St. Maurice, bevor die Tour gleich wieder ansteigt: Über die Route de Beaufortain erreicht man den Cormet de Roselend auf 1.968 Metern.

Da die Nordseite des Passes nach Albertville gesperrt ist, genieße ich hier die schöne Strecke und die beeindruckende Natur fast ganz für mich allein. Schließlich geht es zurück nach Bourg St. Maurice und von dort über die N90 in etwa einer Stunde zurück nach Albertville. Diese empfehlenswerte Rundfahrt erstreckt sich über insgesamt 370 Kilometer und bietet eine perfekte Mischung aus landschaftlichem Reiz und fahrerischem Genuss.

Route de Beaufortain

Am dritten Tag steht ein echtes Highlight auf dem Programm: der Col de l’Iseran, mit 2.770 Metern der höchste asphaltierte Pass der Alpen. Die Anfahrt von Albertville führt zunächst zurück über die N90 bis nach Bourg St. Maurice. In Seez biege ich auf die D902 ab, die nach Süden durch das malerische Tal der Isère führt. Vorbei am berühmten Wintersportort Val d’Isère geht es weiter hinauf zur Passhöhe.

Dort erwartet mich eine Überraschung: Die Südseite des Passes ist wegen Steinschlags gesperrt – ein heiß diskutiertes Thema unter den Passbesuchern. Ein Umkehren würde die weitere Tour komplett verändern und einen enormen Umweg über den Col de la Madeleine und das Tal der Maurienne bedeuten.

Zusammen mit einigen anderen Motorradfahrern wage ich es dennoch. Zwar blockieren größere Felsbrocken die Straße, doch mit dem Motorrad lassen sich die Hindernisse über einen schmalen Randstreifen umfahren. Eine abenteuerliche Passage, die der Tour eine zusätzliches, spannendes Erlebnis verleiht!

Auffahrt von Val-d’Isère zum Col de l’Iseran
Reichlich Restschnee am Col de l’Iseran
Verkehrsfreie Abfahrt – wegen Steinschlags gesperrte Passstraße hinunter nach Val Cenis

Etwa 30 Kilometer hinter dem Col de l’Iseran endet die D902 und mündet in die D1006. Von hier nehme ich die D1006 Richtung Italien und überquere den Col du Mont Cenis auf 2.083 Metern. Nach der Passhöhe führt die Route am Lac du Mont Cenis entlang bis zur Grenze, von wo es weiter bergab nach Susa geht.

Doch hinter der Passhöhe ziehen dichte Wolken auf, und bald beginnt es zu regnen. Kurzerhand entscheide ich mich gegen die Weiterfahrt nach Italien und kehre über den Pass zurück zur Nordseite, wo das Wetter wieder strahlend schön ist.

Die D1006 nach Modane ist gut ausgebaut, bietet aber nur wenige Kurven. Daher verlasse ich die Hauptstraße kurz hinter Val Cenis und wechsle auf kleinere Nebenstraßen, die nach Norden in die Berge führen. Eher zufällig gelange ich daher zu zwei idyllische Stauseen nördlich von Aussois, die sich perfekt für eine entspannte Pause eignen.

Stauseen nördlich von Aussois

Durch die Berge geht es runter nach Modane und weiter nach Saint-Michel-de-Maurienne. Von dort führt die D902 über den Col de Telegraph Richtung Süden nach Valloire, wo ich mir ein Zimmer gebucht habe. Nach dem Einchecken fahre ich noch einmal los, um den Tag auf den kurvenreichen 15 Kilometern zum auf 2.642 Meter gelegenen Col du Galibier abzurunden. So stehen am Ende des Tages gut 280 Kilometer auf dem Tageskilometerzähler.

Auffahrt vom Süden zum Col du Galibier – einfach genial
Hotelparkplatz mit einem Exoten unter den alpinen Tourenfahrern

Der vierte Tag beginnt mit einer kleinen Verwirrung. Gegen 6:30 Uhr werde ich wach und höre ein leises Plätschern. Regen? Dabei war doch keiner vorhergesagt! Also drehe ich mich noch einmal um. Doch eigentlich bin ich schon ausgeschlafen, also stehe ich schließlich auf, ziehe die Gardinen auf – und sehe dicke Tropfen, die auf den Balkon fallen. Merkwürdig, denn die Straße darunter ist völlig trocken.

Die Sache klärt sich schnell: Es ist nicht der Regen, sondern die automatische Bewässerung der Blumenkästen auf dem Balkon darüber. Na dann, nichts wie los! Nach einer schnellen Dusche, einem zügigen Frühstück und dem Packen sitze ich um 8:00 Uhr auf dem Motorrad.

Oben auf dem Col du Galibier, auf knapp 2.650 Metern, wird es noch ziemlich frisch. Der eisige Wind sorgt dafür, dass ich mir ordentlich einen abfriere – aber die grandiose Aussicht macht es allemal wett

Neun Kilometer südlich der Passhöhe mündet die D902 in die D1091, der ich Richtung Westen folge. Die Strecke führt vorbei am Lac du Chambon und dessen Staumauer. Circa einen Kilometer weiter zweigt die D211A ab. Diese schmale, kurvenreiche Straße ist für Fahrzeuge über 1,5 Tonnen gesperrt und schlängelt sich teils abenteuerlich durch den Fels. Eher ungeeignet für zügiges Kurvengeschlängel, bietet sie jedoch spektakuläre Ausblicke, die den Abstecher wert sind.

Die berühmten Serpentinen hinauf nach Alpe d’Huez teile ich mir an diesem Vormittag mit Hunderten von Läufern und Radfahrern. Genau an diesem Tag findet eine Großveranstaltung statt, die den Fahrspaß für Motorradfahrer erheblich einschränkt. In Huez zweigt eine kleine Straße ab: die Route de la Confession, die zum gleichnamigen Pass führt. Ähnlich spektakulär wie die D211A schlängelt sie sich durch eine atemberaubende Landschaft. Die Passhöhe liegt genau in einer Kurve, die auf Stützmauern direkt in einer steilen Felswand errichtet wurde.

Die Route endet schließlich in Oz, wo sie in die D526 mündet. Diese führt mich weiter Richtung Norden zum nächsten Highlight: dem 2.067 Meter hohen Col de la Croix de Fer. Nur zweieinhalb Kilometer entfernt wartet außerdem der Col du Glandon – ein weiterer Pass, der die Tour perfekt ergänzt.

Bereits auf dem Weg zum Col de la Croix fällt mir ein leichter Benzingeruch bei der YB8 auf. Oben angekommen, kontrolliere ich das Motorrad, kann jedoch keine Leckage entdecken. Am Col du Glandon wird der Geruch jedoch deutlich intensiver. Während ich ein paar Meter vom Parkplatz entfernt Fotos mache, bemerke ich plötzlich, dass es stark nach Benzin riecht.

Zurück beim Motorrad sehe ich eine beträchtliche Pfütze unter der Maschine und Benzin, das aus der Bugverkleidung auf den Boden läuft. Angesichts der Menge liegt der Verdacht nahe, dass ein Schlauch gerissen ist. Sofort schließe ich den Benzinhahn, der normalerweise bei der YB8 E mit montierter Vollverkleidung nicht zugänglich ist. Glücklicherweise hat sich das ausgelaufene Benzin weder am heißen Motor noch am Abgaskrümmer entzündet – Glück gehabt!

Die YB8 auf dem Parkplatz am Col du Glandon – der Benzingeruch reicht bis zum Fotospot

Da stehe ich nun, auf knapp 2.000 Metern Höhe und weit entfernt von der nächsten Werkstatt. Ein Blick auf Google Maps hilft mir bei der Entscheidung: Ich versuche mein Glück Richtung Nordosten. Entlang der Passstraße könnte es in den kleinen Dörfern Werkstätten geben, und spätestens in Sainte-Marie-de-Cuines habe ich am Ortseingang mehrere Werkstätten ausgemacht.

Kurz nach zwölf schiebe ich meine YB8 E vom Parkplatz und lasse sie ohne Motor den Pass hinunterrollen. Das Gefälle ist beeindruckend, und stellenweise erreiche ich Geschwindigkeiten von bis zu 80 km/h. In Saint-Colomban wird die Strecke flacher, doch in den Vergasern ist noch genügend Benzin, um den Motor kurz zu starten und das flache Stück zu überwinden. Von dort geht es bis Sainte-Marie kontinuierlich bergab. Erst am Ortseingang wird die Straße wieder flach, und ich starte den Motor ein weiteres Mal, um die letzten Meter bis zu einer Tankstelle in der Rue de la Pleine zurückzulegen. Praktischerweise liegt diese Tankstelle zwischen zwei Werkstätten – genau, was ich brauche!

Reparatur bei über 30° im Schatten – Passendes Werkzeug im „Kofferraum“, aber kein Material

Ich stelle das Motorrad auf einem überdachten Platz mit Münzsauger ab. Im Tal sind deutlich über 30° und ich bin froh über den Schatten. Schnell ist das Gepäck abgeschnallt und das Monocoque demontiert. Um an die Kraftstoffleitungen zu kommen muss der Tank raus, der aber lediglich mit vier Gummis fixiert ist. Und dann kommt auch sofort das Problem zum Vorschein.

Der Kraftstoffschlauch am Reserveschalter ist komplett abgerissen. Ich hatte zwar bei der Wiederinbetriebnahme alle Spritschläuche erneuert, aber offensichtlich beim Zusammenbau den Schlauch falsch verlegt, so dass er auf Spannung saß und schließlich abgerissen ist. Der Fehler wäre schnell behoben, wenn ich ausreichend Ersatzschlauch an Bord hätte. In meinem Kofferraum liegen Schlauchschellen und eine Zange und ein Stück Benzinschlauch, das aber leider zu kurz ist. Mittlerweile ist es 13:15 Uhr und die umliegenden Werkstätten haben Mittagspause. Als um 14:00 Uhr die Tore der Lkw-Werkstatt wieder öffnen, treffe ich auf einen freundlichen und hilfsbereiten Mechaniker. Er holt aus dem Lager einen passenden Schlauch, und keine 15 Minuten später ist die YB8 wieder startklar.

Eigentlich wollte ich an diesem Tag noch den Col de la Madeleine befahren, doch durch die ungeplante Verzögerung kürze ich die Tour ab und fahre von Sainte-Marie direkt nach Norden ins Val d’Arc und weiter ins Massif des Bauges. Nach einem Abstecher zum malerischen Château de Miolans nehme ich die D911 über den Col de la Frêne und folge dem Gebirgszug bis Rumilly. Von dort geht es entlang der Rhône nach Valserhône und weiter nach Norden zurück ins Jura.

Nach einer Tagesetappe von knapp 300 Kilometern erreiche ich schließlich Champfromier, wo ich ein Hotelzimmer für die letzte Nacht gebucht habe. Ein ereignisreicher Tag endet in der Ruhe des kleinen Ortes bei einem Abendessen auf der Hotelterrasse – ein perfekter Abschluss nach einem ereignisreichen Tag.

Chateau de Miolans

Die letzte Etappe zurück nach Besançon starte ich über die D14 und D991 Richtung Norden zum Kamm des Juragebirges und fahre mit dem Col de la Faucille (1.323 m) einen letzten Pass auf dieser Tour. Für den frühen Nachmittag sind im Raum Besancon schwere Gewitter angesagt, weshalb ich weitere vielversprechende Strecken im Jura auslasse und mich für den direkten Weg über die N5 hinunter nach Champagnole entscheide, wo ich gegen 10:00 Uhr eintreffe. Für den weiteren Streckenverlauf wähle ich kleinere Landstraßen, die mich in schöne Gegenden führen und zu einigen Fotostopps bewegen.

Die letzte Etappe zurück nach Besançon beginne ich über die D14 und D991 in Richtung Norden, hinauf zum Kamm des Juragebirges. Der Col de la Faucille auf 1.323 Metern ist der letzten Pass auf dieser Tour. Für den frühen Nachmittag sind im Raum Besançon schwere Gewitter angesagt, weshalb ich auf weitere vielversprechende Strecken im Jura verzichte und mich stattdessen für den direkten Weg über die N5 nach Champagnole entscheide.

Auf Nebenstraßen durch Wälder und Wiesen

Ab dem Mittag wird es zunehmend heiß und schwül – die ersten Anzeichen der angekündigten Gewitter. Im Westen türmen sich bereits die Wolkenberge auf. Kurz vor meinem Ziel, nach rund 240 Kilometern, fällt tatsächlich der erste Regen, aber ein Gewitter bleibt mir glücklicherweise erspart.

So bleiben unter dem Strich rund 1600 Kilometer über 15 Alpenpässe in 5 Tagen. Das Wetter war hervorragend, auch wenn es morgens in den Höhenlagen noch recht frisch war. Trotz der kleinen Panne war es eine großartige Tour, und sicherlich nicht mein letzter Ausflug in die Westalpen. Schön war’s!

Und meine Reise YB8 E hat auf der gesamten Strecke, vor allem aber auf den Pässen, richtig Spaß gemacht, wie man am Hinterreifen deutlich sehen kann. 😉