Unerwartete Schäden
Diese BB1 wird im Juni 2011 auf ebay Kleinanzeigen in Kiel zu einem attraktiven Preis angeboten. Sie hat knapp 28.400 Kilometer gelaufen und ist aus 2. Hand. In der Annonce sind ein paar Mängel benannt, die mich aber nicht davon abhalten mit André, dem Verkäufer Kontakt aufzunehmen. Von ihm erfahre ich, dass er die Biposto seit sieben Jahren fährt und im März 2004 vom Erstbesitzer aus Hamburg erworben hat. Dieser hatte sie 2001 beim damaligen Importeur ZTK in Schneverdingen gekauft und am 19.04. zugelassen.
Andrés weitere Ausführungen zum Zustand sind ein wenig vage. Blinkerglas gerissen, Endtopf müsste aufgearbeitet werden, der Lack hat Macken und die Kettenführung muss gemacht werden. Klingt aber nicht dramatisch, also verabreden wir einen Besichtigungstermin Ende Juni in Kiel.
Am 28. Juni fahre ich im Anschluss an einen Termin in Hamburg weiter in die Ostseestadt. Die BB1 steht schon vor der Garage.

Vermutlich steht sie aber nicht immer in der Garage, sondern hat vermutlich in ihren sieben Jahren an der Ostsee etliche Nächte als Laternenparker verbracht. An den Stahlteilen wie den hinteren Fußrastenhaltern, dem Hilfsrahmen für Cockpit und Verkleidung blüht der Rost. Das Monocoque hat eine Menge Kratzer durch Tankrucksack, Gepäckrolle usw.. Der Pflegezustand lässt zu wünschen übrig, aber ansonsten alles im überschaubaren Rahmen. Einzig der Kettenschleifer ist durch und die Spuren an der Kette lassen vermuten, dass die Schwinge bereits angekratzt ist.
In der Preisverhandlung kommt mir Andre angesichts meiner ToDo Liste entgegen – Deal! Am Wochenende stelle ich auf den gängigen Online Frachtbörsen meinen Transportauftrag ein. Für ein kleines Transportunternehmen aus Thalmässing in Bayern scheint das ideal zu anderen Aufträgen zu passen. Für unglaubliche 120 Euro holen sie die BB1 in Kiel ab und liefern sie am 21.07.2011 bis in meine Garage. Damit wird die BB1 meine dritte Bimota und die erste, die ich komplett zerlegen und restaurieren werde. Ende September starte ich mit der Komplettzerlegung und ahne noch nicht, welche Überraschungen dabei auf mich warten und auch nicht, wie wenig Zeit ich in den nächsten Monaten in das Projekt stecken kann und wie lange es daher am Ende dauern wird.


Nach der Demontage des Monocoques findet sich weiterer Rost an den Kernen der Zündspulen, aber ansonsten, abgesehen von ein paar Scheuerstellen und Schmutz von 28.000 Kilometern, ist erstmal alles in Ordnung.
Es dauert dann bis Mitte Februar, bevor die BB1 endlich komplett zerlegt ist, alle Teile gereinigt sind und abschließend Klarheit über die notwendigen Arbeiten und Ersatzteile besteht. Die Liste der notwendigen Neuteile ist überschaubar:
- Kettensatz
- Kettenschleifer
- Lenkkopflager SKF 639174
- Rillenkugellager Schwinge
- Schwingenlagerung im Rahmen
- Öl und Ölfilter
- Luftfilter
- Zündkerzen, Kabel, Stecker

Den 520er Kettensatz gibt es für 120 Euro. Den originalen Schwingenschleifschutz hat ein Händler aus Bayern auf Lager – 52 Euro inklusive Versand. Das Lenkkopflager, das vom Zustand meine Theorie vom Laternenparker in feuchter Ostseeluft bestätigt, ist ein Standard Kegelrollenlager. Ebenfalls Standard sind die Rillenkugellager für die Schwinge. Alles andere als Standard sind hingegen die Schwingenlager im Rahmen. Hier findet sich sich auch nach stundenlanger Recherche im Internet kein passendes Ersatzteil.
Die Schwingenlagerung im Rahmen ist eine echte Schwachstelle der BB1. In der Regel werden die Schwingenachsen fest im Rahmen verschraubt. Bei der Supermono setzt Bimota jedoch kleine Gummilager (Silentbuchsen) ein. Silentbuchsen werden häufig in Federbeinen oder als Motorlager im Motorradbau verwendet, um die Übertragung von Vibrationen zu reduzieren. Die Verwendung als Schwingenlager ist eher ungewöhnlich, besonders für Bimota, die für maximal steife Fahrwerke berühmt und bekannt sind. Die Silentbuchsen sind jedoch ein „weiches“ Element, das an der Hinterachsführung einer steifen Anbindung der Schwinge widerspricht. Andererseits lassen die Abmessungen der Gummilager kaum Raum für das weiche Gummi. Mit einem Innendurchmesser von 14 mm, einer inneren Hülse von 18 x 2 mm und einer äußeren Hülse von 25 x 1,5 mm, ergeben sich für den vulkanisierten Gummiring ein Außendurchmesser von 22 mm und ein Innendurchmesser von 18 mm, d.h. gerade einmal 4 mm Gummi. Nicht viel, um Vibrationen zu dämpfen und auch nicht viel, um zusätzliche Bewegung der Schwinge zu ermöglichen. Was also auch immer der Grund für dieses Konstruktionselement war, es ist in jedem Fall unterdimensioniert und bei dieser BB1 komplett verschlissen.


Bei genauerem Hinsehen hätte mir die außermittige Lage der Schwingenachse im Rahmen schon beim Besichtigungstermin auffallen müssen. Von daher bin ich ziemlich froh, dass sich die innere Hülse noch nicht komplett durch die äußere Hülse gearbeitet und den Sitz im Rahmen beschädigt hat. Glücklicherweise ist das Problem mit neuen Silentbuchsen behoben. Allerdings ist die Beschaffung von geeignetem Ersatz etwas problematisch. Bei den üblichen Adressen für Bimota Ersatzteile sind die Buchsen nicht zu bekommen. Auch bei den Herstellern von Silentbuchsen findet sich keine passende Größe.
Also Sonderanfertigung nach Zeichnung, die ich nach vorherigen Telefonaten an ein paar Firmen versende. Die obligatorische Nachfrage nach den Stückzahlen kann ich bei einigen Anbietern mit der Gegenfrage nach Mengenstaffeln beantworten. Am Ende bekomme ich zwei Angebote. Aber nur eine Firma aus Bayern ist bereit lediglich zwei Stück „Gummi-Metall Hochleistungsbuchse“ zu verkaufen. Der Preis: 50 Euro netto zuzüglich Versand. Das ist mehr als fair für zweimal Sonderanfertigung.
Neben der Schwingenlagerung ist die Kettenlinie die zweite Schwachstelle der BB1. Bimota hat das 650er BMW Triebwerk tief und leicht nach vorn geneigt eingebaut, um das Chassis möglichst flach halten zu können. Dadurch wandert aber auch die Getriebeausgangswelle samt Ritzel knapp unter den Drehpunkt der Schwinge, wodurch die Kette im Lasttrum umgelenkt werden muss. Der Kettenschleifer auf der Schwingenoberseite wird daher stark beansprucht. Verstärkt wird die extreme Kettenlinie, wenn über das einstellbare hintere Federbein das Rahmenheck angehoben wird. Unter dem Gewicht des Fahrers federt das Heck ein, Ritzel und Schwingendrehpunkt liegen dann im Idealfall auf einer Linie, die Umlenkung reduziert sich und damit auch die Reibung zwischen Kette und Kettenschleifer. Aber beim Fahren arbeitet so ein Federbein natürlich und jedes Ausfedern des Federbeins verändert die Geometrie und verstärkt die Umlenkung.
Das Thema Kettenspannung bei der BB1 ist ein sensibles. Ein großer Kettendurchhang im unbelasteten Zustand ist hier eine konstruktive Notwendigkeit und keine schlampige Wartung. Dies erklärt auch, warum Bimota im Leertrum eine am Rahmen verschraubte Rolle verbaut hat, um das Schleifen der durchhängenden Kette am Tank zu vermeiden. Bei meiner BB1 wurde sogar zusätzlich ein Kettenspanner nachgerüstet.

Mit der Zeit arbeitet sich die Kette aber immer in den Kettenschleifer ein, was dann an den Spuren an der Kette deutlich zu erkennen ist. Wenn der Kettenschleifer durch ist, arbeitet sich die Kette in die Schwinge ein, was hier leider auch der Fall war und leider kein Einzelfall ist. Abhilfe oder zumindest eine Verbesserung der Situation schafft ein größeres Ritzel und eine Absenkung des Rahmenhecks über das Federbein.

Im März sind alle Ersatzteile geliefert und der Zusammenbau beginnt in kleinen Schritten. Erst im Mai sind alle neuen Lager verbaut und Motor, Rahmen, Schwinge und Federbein montiert, aber es dauert bis in den Herbst, als die Tage wieder kälter, kürzer und nasser werden, bis ich wieder mehr Zeit für die BB1 finde.
Vor dem weiteren Zusammenbau kommen noch alle Stahlteile wie das Rahmenheck, die Halterungen der hinteren Fussrasten, die Blechwinkeln zur Befestigung der Endtöpfe, der Hilfsrahmen für Cockpit und Verkleidung sowie der Batteriekasten zum Sandstrahlen und Pulverbeschichten.
Ansonsten braucht nur noch das etwas verschlissene Monocoque eine neue Lackierung. Meine „Lackiererei“ übernimmt nicht nur der Lackierung des Monocoques, sondern bietet auch gleich eine Lösung für die silbernen „Bimota“ und „Supermono“ Aufkleber. Die Schriftzüge lässt er bei einem „Schriftenmaler“ originalgetreu anfertigen.

Mit der Restauration ist die BB1 biposto wieder in einem erhaltenswerten Zustand. Angesichts von nur 148 gebauten Exemplaren absolut sinnvoll und mir ist klar, dass dies nicht die letzte Restauration gewesen ist.